Interview mit Andreas Gerstenmayer



Der gebürtige Bayer und Vater von drei Töchtern ist seit 2010 Vorstandsvorsitzender des weltweit führenden Herstellers von hochwertigen Leiterplatten. Anfang des Jahres hat Andreas Gerstenmayer um fünf weitere Jahre verlängert.

 

Was waren in den letzten Jahrzehnten die wirklich großen Technologiesprünge in der Entwicklung von Leiterplatten?

In den 1960er- und 70er-Jahren brachten die Weiterentwicklungen in der Computerbranche großen Schwung in die Welt der Leiterplatten. Die immer größer werdenden Anforderungen der Computer an die darin integrierten Leiterplatten brachten zahlreiche Innovationen auf diesem Gebiet. Durch die Erfindung der Multilayer-Leiterplatte, auf der Verdrahtungen und I/O(Eingang/Ausgang)-Positionen auf mehreren Lagen untergebracht werden können, wurde das Platz- und damit Leistungsproblem auf der Leiterplatte zumindest vorerst gelöst.

Die Multilayer- Leiterplatte war ein wichtiger Schritt und gleichzeitig erst der Anfang, denn sie erwies sich mit der Entwicklung von tragbaren Geräten rasch als zu schwer. Die Lasertechnik war der nächste, richtungsweisende Schritt. Um 1999 hat es die Einführung der HDI Technologie (lasergebohrte Leiterplatten) erstmals ermöglicht, Einzellagen zu verdrahten. Mit der Filled Via Technologie konnte dieser Designvorteil in weitere Leiterlagen erstreckt werden.
Ein weiterer Sprung war die Einführung der Anylayer Technologie, die es ermöglichte, auch über die zentrale Lage hinaus Chips zu entflechten und in weiterer Folge eine direkte Verbindung zwischen zwei komplexen Chips zu generieren. Parallel dazu gab es einige Technologiesprünge z.B. durch wesentliche Fortschritte in der Rigid-Flex Technologie.

Der nächste wesentliche Schritt dient dazu, dem zunehmenden Trend in Richtung Miniaturisierung gerecht zu werden: die Einbettung von Komponenten in die Leiterplatte. Diese innovative Technologie der nächsten Generation wächst gigantisch und wird auch massiv von der AT&S vorangetrieben. Wir sind einer der ersten Hersteller mit einer patentierten Chip Embedding-Technologie (ECP®) und haben mittlerweile im Embedding Component Markt einen Anteil von über 80 Prozent.

Ein zukunftsträchtiges Marktsegment sind aber auch IC-Substrate, die durch den steigenden Einsatz von Mikroprozessoren in PCs, Notebooks, Smartphones und Tablet PCs immer mehr Verbreitung finden. IC-Substrate sind mehrlagige, elektrisch leitende Schaltungsträger für Silizium-Halbleiter, auch Chips oder Integrated Circuits (IC) genannt, die das Bindeglied zwischen den Strukturen im Nanometerbereich der Halbleiter und den Strukturen im Mikrometerbereich der Leiterplatten darstellen. Sie ermöglichen den nächsten Quantensprung bei der weiteren Miniaturisierung bei gleichzeitiger Leistungssteigerung.

 

Was sind aktuell die Stoßrichtungen für weitere Innovationen in der Elektronik? Was glauben Sie, wird in 10 bis 20 Jahren anders sein als heute?

Wir sehen ganz klar in der Modularisierung einen weiteren innovativen Trend mit gewaltigem Potenzial. Wir verstehen darunter eine nächste, radikale Verbesserung der elektronischen Systeme, die nur erreicht werden kann, wenn die einzelnen Komponenten in elektronischen Geräten ideal aufeinander abgestimmt und damit in modularen Strukturen aufgebaut werden. Dies ermöglicht Elektronik, die ideal in unser Leben integriert werden kann und unser tägliches Leben immer mehr unterstützt.

 

Wo ist AT&S besser als der Mitbewerb?

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unseren Wettbewerbsvorteil und unsere erfolgreiche Positionierung zum einen der guten Balance zwischen high-tech Produktion in Asien und auf Nischen spezialisierte Produktion in Europa zu verdanken haben. Zum anderen bilden die permanente Innovation und die ständige Weiterentwicklung unserer Produkte den Grundstein für all diese Erfolge. Wir haben eine lange Tradition im klassischen Engineering, das uns neue, innovative Produkte auf den Markt bringen lässt, ein ausgeprägtes und verinnerlichtes Verständnis für Qualität und haben schon seit Jahren auf Nachhaltigkeit gesetzt. Wir haben erkannt, dass es notwendig ist, noch mehr und stärker in die eigene Forschung zu investieren und so unseren Vorsprung gegenüber der Konkurrenz auf Jahre abzusichern. Man muss in unserer Branche weit nach vorne blicken, da es alle zwei Jahre zu einer Verdoppelung der Leistungsfähigkeit bei den Prozessoren und gleichzeitig zu einer Miniaturisierung kommt. Wir haben daher klar unsere strategischen Schwerpunkte auf Innovation, Qualität und Nachhaltigkeit gelegt.

 

Gibt es im globalen Wettbewerb so etwas wie österreichische bzw. europäische Standortvorteile, auf die ein Unternehmen wie AT&S bauen kann?

Wir haben in der Leiterplattenindustrie eine Weltmarktstellung. Wir sind der größte europäische Leiterplattenhersteller, global erfolgreicher Technologieführer, aber auch einer der wenigen in der Branche, die noch in Europa vertreten sind und gleichzeitig am asiatischen Markt gegenüber dem dort vorherrschenden Wettbewerb reüssieren können. Unsere Kunden schätzen vor allem die hohe europäische Qualität und Governance sowie die österreichische Ingenieurstradition. Jedoch sind 84% der Wertschöpfungskette bereits in Asien und auch wir generieren heute 74% unserer Gesamterlöse in Asien, denn wir produzieren dort, wo unsere Produkte gebraucht werden, wo der Wettbewerb stattfindet.
Wir haben es uns schon vor mehr als 10 Jahren zugetraut, gegen die Asiaten in den Ring zu steigen, heute sehen wir, dass wir als Europäer wesentliche Vorteile haben und durchaus als Sieger aus diesem Kampf hervorgegangen sind. Wären wir den Schritt nach Asien nicht gegangen, dann würde es die AT&S heute nicht mehr geben. In der Steiermark haben wir unsere Wurzeln und hier bündeln wir unser Netzwerk, unsere Kompetenz, die hochqualifizierten Mitarbeiter.

 

Auf Basis welcher Informationen nehmen Sie – ins besondere in Bereichen wie F&E – neue MitarbeiterInnen auf und wie macht man in einem Unternehmen wie AT&S eigentlich Karriere?

Im Rahmen unseres Recruiting for F&E erstellen wir das Aufgabenprofil in enger Abstimmung mit zuständigen F&E Leitern. Wir schreiben die Positionen zuerst intern aus und nutzen zusätzlich unsere Netzwerke und Empfehlungen. Vor allem die intensive Kontaktpflege mit den für uns relevanten Branchen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen spielt eine sehr wesentliche Rolle. Der Auswahlprozess beinhaltet neben den persönlichen Interviews auch Assessment Center. Über den Auswahlprozess hinaus ist uns auch die gewissenhafte Einarbeitung/Einführung in das Unternehmen mit regelmäßigen Basic Trainings sehr wichtig. Wir erwarten von unseren TechnikerInnen in erster Linie gutes Fachwissen gepaart mit einem Grundverständnis für Innovation. Innovation endet nicht mit dem Verlassen des Entwicklungslabors sondern erst bei entsprechender erfolgreicher Positionierung am Markt.
Dabei sollen unsere neuen MitarbeiterInnen auch eine weltoffene Grundeinstellung, Eigenmotivation und die Bereitschaft zu Auslandsaufenthalten besitzen.

Ein wesentliches Tool in der Karriereplanung und zur Weiterentwicklung sowie Potenzialerhebung unserer MitarbeiterInnen ist das einmal jährlich stattfindende Mitarbeitergespräch. Unsere ExpertInnen bilden wir dann im Rahmen unserer Leadership/Management Ausbildungsprogramme zu zukünftigen Führungskräften heran.

 

Wie funktioniert die Weiterbildung von Spitzenkräften in einer Sparte, in der die Bildungseinrichtungen mit der Schnelligkeit der Entwicklungen kaum Schritt halten können?

Wir versuchen schon bei der Ausbildung anzusetzen. Der aktuelle Stillstand in der Bildungspolitik ist nicht gerade förderlich, um qualifizierte MitarbeiterInnen für unsere komplexen Produkte zu bekommen. Die enge Kooperation und Vernetzung zwischen Industrie und Ausbildungsstätten ist daher generell und speziell auch für uns eine wichtige Basis, um dem Mangel an Spitzenkräften in den technischen Bereichen entgegenzuwirken. Insbesondere von der HTL aufwärts ist die Zusammenarbeit mit qualitativ hochwertigen Ausbildungsstätten und der Spitzenforschung enorm wichtig. Darum setzten wir uns selbst dafür ein, unterstützen die FH Joanneum mit Stipendien oder bilden in unseren Werken in Österreich Lehrlinge in 6 Berufsgruppen aus. Ein Erfolgsfaktor wäre für mich auch die Vernetzung unserer Universitäten und Forschungseinrichtungen in einem weltweiten Verbund. Innerhalb des Unternehmens überarbeiten wir die internen Leadership Programme von High Potentials bis Senior Leadership immer wieder aufs Neue und passen sie den Anforderungen unserer dynamischen Branche an.

 

Insbesondere in technischen Bereichen ist der Wissenszuwachs so enorm, dass sich der Bildungsstand der Gesellschaft von dem der ExpertInnen zunehmend abkoppelt. Während sich ExpertInnen in Sphären bewegen, die mindestens dem Bild des Elfenbeinturms entsprechen, sind immer größere Kreise der Gesellschaft nicht einmal mehr des Lesens und Schreibens mächtig. Wie sehen Sie diese Problemstellung?

Ich sehe dringenden Handlungsbedarf im Ausbau der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) und wir müssen mehr junge Menschen für diese Disziplinen begeistern. Daher investieren wir bewusst in die Zielgruppen Lehrlinge, SchülerInnen und StudentInnen und pflegen Kooperationen mit z.B. IAESTE, Best usw. Die jungen MitarbeiterInnen, die wir daraus rekrutieren, werden von unseren ExpertInnen unternehmensintern auf unsere Technologien eingearbeitet und so zu den zukünftigen Experten aus- und herangebildet.

 

Wie müsste ein Bildungssystem aussehen, in dem die Grundlagen der Technik, die wir im Alltag verwenden, ausreichend vertreten sind?

Ich sehe weiteren Bedarf darin, die Vernetzung der Unternehmen mit Bildungseinrichtungen wie UNIs, FHs weiter zu gefördern, damit diese unsere Bedürfnisse/Anforderungen verstehen. Durch die enge Zusammenarbeit und durch den Austausch mit den Bildungseinrichtungen können die Anforderungen der Industrie in die Lehrpläne mitaufgenommen werden.

 

Ein Problemfeld der digitalen Kommunikation liegt im unüberschaubaren Sammeln und zunehmend auch Auswerten von personenbezogenen Daten. Das hat natürlich auch seine positiven Aspekte – wenn aber mein kompletter Informationsinput zunehmend auf errechneten Interessen basiert – wie kann ich dann noch querdenken und über meinen eigenen Tellerrad hinaus sehen?

Die Erfahrungen, die ich selbst sammle und erlebe z.B. durch Reisen und Weiterbildung können Google & Co nicht selektieren und eingrenzen.
Jeder hat es selbst in der Hand, seinen Fußabdruck zu hinterlassen und durch persönliche Gespräche, Offenheit, Wissbegierigkeit, aber auch in Vorlesungen und Bibliotheken seinen Horizont zu erweitern, um die daraus gewonnenen Informationen und Erfahrungen entsprechend zu verwerten und auch querzudenken. Die Entwicklungen der digitalen Kommunikation schränken uns nicht ein und stecken uns auch nicht in eine Schublade, im Gegenteil, sie bieten uns Chancen und Möglichkeiten.

 

Die Globalisierung mit ihren Big Playern konzentriert sehr viel Know How in relativ wenigen Händen. Welche Chancen hat ein junges, innovatives Unternehmen heute eigentlich noch, in den Markt einzutreten und sich dort erfolgreich zu behaupten? Kann man so etwas wie Apple heute überhaupt noch gründen?

Apple und sein Visionär Steve Jobs sind mit Sicherheit einzigartig. Apple hat die digitale Kultur geprägt und über Jahrzehnte Paradigmenwechsel in der Entwicklung der Computertechnik eingeleitet und vorangetrieben. Aber auch die Big Player müssen sich permanent weiterentwickeln, um nachhaltig diese führende Position halten zu können. Innovation und Kreativität prägen viele erfolgreiche Unternehmen. Für junge, innovative Unternehmen ist das alleine aber nicht ausreichend. Es braucht Investoren und Förderer, die für die Geschäftsidee zu begeistern sind, um die Produkte zur Marktreife und damit die Unternehmen zum Erfolg zu führen.

 

Die industrialisierte Welt treibt die technische Entwicklungen laufend weiter. Gleichzeitig sind rund 90% der Weltbevölkerung von der Nutzung all dieser Technologien ausgeschlossen – mangels Zugang zu Energie, Bildung, Geld etc. Wäre es nicht sinnvoller, Fleiß, Ideenreichtum und Knowhow in breiter nutzbare Technologien zu investieren?

Auch breiter nutzbare Technologien werden die Entwicklungsländer nicht erreichen. Dafür fehlen die entsprechenden Voraussetzungen. Ich bin überzeugt davon, dass neue Informations- und Kommunikationstechnologien – in einer den Bedürfnissen des Landes angepassten Form – eine zentrale Voraussetzung für das zukünftige Wirtschaftswachstum in der Dritten Welt bieten. Sie haben das Potenzial, die Informations- und Wissenskluft zu verringern und den Lebensstandard der Bevölkerungen zu steigern.

Voraussetzung ist der fokussierte Einsatz von jenen Technologien, die den Zugang zu sozialen Grundbedürfnissen wie medizinische Versorgung, Infrastruktur, Bildung/Ausbildung und öffentlicher Information ermöglichen. Was bedeutet es, für einen Dollar am Tag zu leben? Welche Herausforderungen bringt dies mit sich, wenn man in einem solchen Rahmen neue Technologien einführen möchte? Was ist die wirkliche Rolle, die neue Technologie spielen kann? Als globale Gemeinschaft haben wir hierfür bislang noch keine besonders guten Antworten gefunden.